Im Heute leben
In der Gegenwart zu leben ist keineswegs einfach, in der Regel gelingt das nur Kindern - weil diese sich weder mit den Lasten der Vergangenheit noch mit den Sorgen der Zukunft beschäftigen, sondern ganz im jeweiligen Augenblick aufgehen Heute - Aus der Fülle der Gegenwart leben können. Und diese Schwierigkeit, das Leben - und damit auch den religiösen Glauben - zu "vergegenwärtigen", ist keineswegs nur ein Problem des modernen Menschen, wie Johannes Eckert, Abt von St. Bonifaz in München und Kloster Andechs, in seinem neuen Buch gleich zu Beginn feststellt. Auch das Lukasevangelium weist seine Zuhörer/innen bereits mehrfach darauf hin, dass es bei dieser Frohen Botschaft nicht nur um Historie und auch nicht nur um eine Zukunftsvision geht, sondern wirklich um das Heute. Darum untersucht der Benediktinerabt in seinem Buch sechs Stellen aus dem Lukasevangelium, in denen vom Heute die Rede ist, und fragt, was das jeweils für uns heute bedeuten kann. Am Ende jedes Kapitels wird dann auch noch eine "Benediktinische Verheutigung" genannt, wie sie der heilige Benedikt in seiner Ordensregel empfiehlt. So schreibt Abt Johannes z.B. über das Schriftwort "Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein", das Jesus am Kreuz an den Verbrecher richtet, der ihn nicht verspottet, für ihn liege darin die höchste Konkretisierung des Heute: sich jeden Tag des eigenen Todes bewusst zu sein - wie es auch der heilige Benedikt von seinen Mönchen fordert. Zugleich gelte es, sich auch der eigenen Erlösung bewusst zu sein, die nicht nur Vertröstung auf ein Jenseits ist. "Heute noch", in dieser Zusage Jesu erfüllt sich bereits die Bitte, die der mitgekreuzigte Verbrecher ausgesprochen hatte: Jesus denkt an uns in allen Situationen unseres Lebens, und auch noch von den äußersten Rändern aus, ist eine Umkehr "noch heute ins Paradies" möglich. In diesen und noch zahlreichen anderen Gedanken zu einer "Verheutigung" des Evangeliums wird deutlich, dass das vom Umfang her eher schmale Buch doch außerordentlich viele wertvolle Impulse und Anregungen enthält und darum auch noch lange - und zwar immer wieder: heute - nachwirken kann.
Thomas Steinherr
rezensiert für den Borromäusverein.
Im Heute leben
Johannes Eckert
Herder (2020)
128 Seiten
kt.