Über die Selbstanklage
Der Jesuit Jorge Mario Bergoglio verfasste vor einigen Jahren einen Artikel zum Thema "Selbstanklage", der an junge Ordensleute gerichtet war. Grundlage des Artikels und damit dieses Buches ist ein spätantikes kirchliches Erbe, ein im Buch auszugsweise vorgelegter Text des Dorotheus von Gaza, einem der sog. Wüstenväter. Beide Autoren wollen den Leser vom Geist des Argwohns und des Misstrauens wegführen. Denn der vom Teufel gesäte Argwohn führe zu einer verzerrten Wahrnehmung der Wirklichkeit, zu Unfrieden (auch in sich selbst) und letztlich zu einer nicht nur den Mitmenschen, sondern sogar Gott anklagenden Haltung. Stattdessen soll sich der Mensch in der Selbstanklage üben, die dazu führt, dass man sich dem Nächsten im Guten nähert und einen Geist der Einheit der Herzen, mit den Menschen und mit Gott, wachsen lässt. Selbstanklage wird dabei verstanden als eine Haltung, die, anstelle die Verantwortung bei anderen zu suchen, die Schuld für alles zu erduldende Leid bei sich selbst sucht: "alles, was wir erleiden, erleiden wir wegen unserer Sünden". So wird Gottvertrauen eingeübt und der Barmherzigkeit Gottes Raum gegeben. Den Texten Bergoglios und Dorotheus' vorangestellt ist eine weniger spirituell-pastorale denn theologisch-akademische Einführung von Michael Sievernich SJ, die das Thema "Selbstanklage" aus einer weiteren lesenswerten Perspektive beleuchtet und z.B. anmerkt, dass es im Meer der zeitgenössischen Ratgeberbücher sehr viele mit "Selbst-" im Titel gebe, aber "Selbstanklage" darunter nicht zu finden sei. Somit trägt das Büchlein zum Schließen einer Lücke bei. Zudem lernt der Leser damit auch Papst Franziskus etwas mehr kennen. Empfehlenswert.
Markus Hofmann
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Über die Selbstanklage
Jorge Mario Bergoglio, Papst Franziskus. Mit einer Einf. von Michael Sievernich
Herder (2013)
77 S.
kt.