Versöhnung
Versöhnung ist gut, aber sie bedarf der Arbeit an der Sprache. Aus dieser Idee des Dialogs bezieht das Buch des Mainzer Philosophieprofessors Stephan Grätzel seinen Reiz. In seinem vorhergehenden Buch, das mit diesem Teil eines größeren Projekts ist, hat er Schuld als vormoralische Kategorie untersucht. Hier beschreibt er Versöhnung als vormoralischen Prozess einer sprachlichen Entwicklung, die von der ursprünglichen Einheit über die Entzweiung zu einer neuen Einheit. Erbschuld, Vergeltung, Vergebung und Sühne sind existenzielle Abgrenzungskategorien, die zu einer phänomenologischen Schärfung des Versöhnungsbegriffs beitragen. Etwa, wenn im Zusammenhang mit dem Holocaust über die Möglichkeit einer "Versöhnung ohne Verzeihung" gesprochen wird. Grätzel misst die Weite der Idee und die Tiefe der Geistesgeschichte ebenso verständlich wie umsichtig aus. Er bezieht sich auf literarische, philosophische, religiöse und biblische Texte, die zeigen, wie wichtig zum Versöhnen die Sprechakte von Bitten, Erzählen und Verstehen sind, auf drei Ebenen (Gott, Mensch und Welt). - Reichhaltige Lektüre.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Versöhnung
Stephan Grätzel
Herder (2018)
360 S.
fest geb.