Die ersten hundert Tage
"Es geht in diesem Buch nicht immer um Politik, aber Politik spielt immer eine Rolle", so schreibt Wolfgang Brenner am Anfang seiner Ausführungen, die sich mit den ersten Monaten der jungen BRD (gegr. Mai 1949) und DDR (gegr. Oktober 1949) beschäftigen, aber eben mit den Ereignissen, die den Alltag der Menschen bestimmten, mit ihren Hoffnungen und Wünschen, mit ihren Sorgen und ihrer Hilflosigkeit zwischen der NS-Vergangenheit und den Prinzipien und Regeln der "neuen" Zeit. In 14 Geschichten - sorgfältig recherchiert und spannend erzählt - schildert der Autor verblüffende, z.T. abenteuerliche Vorkommnisse, die nicht bzw. nur andeutungsweise in den Geschichtsbüchern zu finden sind, die aber Motivation, Stimmung und Handlungsweise der Leute widerspiegeln und dadurch die auseinanderdriftende Entwicklung in den beiden deutschen Staaten nachvollziehbar andeuten. So zeigt die gewaltige Explosion des Munitionslagers bei Prüm/Eifel - der Krater gehört zu den größten der Welt - die Hilflosigkeit der Bewohner gegenüber der Besatzungsmacht, die verwirrenden, auch widersprüchlichen Berichte um den damals schon bekannten, später hoch gerühmten Dr. Grzimek pendeln zwischen seiner NS-Vergangenheit und der neidvollen Konkurrenz "wohlmeinender" Kollegen und am Beispiel eines nach Ostberlin entführten und in Sibirien gefangenen kommunistischen westdeutschen Bundestagsabgeordneten werden die stalinistischen Säuberungen, aber auch die unterwürfigen Winkelzüge der von Moskau gesteuerten west/ostdeutschen Genossen sichtbar. Und stets wird das gespaltene, unsichere, aber auch eigennützige Denken und Handeln der Bevölkerung deutlich. Für geschichtlich Interessierte eine aufschlussreiche Lektüre!
Inge Hagen
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Die ersten hundert Tage
Wolfgang Brenner
Herder (2018)
287 S. : Ill.
fest geb.