Der Bruderkrieg

Der Titel ist irritierend: Denn der "Bruderkrieg" meint nicht den preußisch-österreichischen Krieg von 1866, sondern den deutsch-französischen vier Jahre später, der zum Ausgangspunkt einer lange währenden "Erbfeindschaft" wurde. Ob man sich 1870 Der Bruderkrieg nach den Erfahrungen mit Napoleon als Brüder verstanden hat, ist fraglich und nimmt wohl das heutige deutsch-französische Verhältnis eher unangemessen vorweg. Dennoch ist dieses flüssig geschriebene Buch von großem historischen Wert, weil es nicht nur Ereignisgeschichte oder den Verlauf von Schlachten referiert, sondern vor allem mittels der verfügbaren Erinnerungsliteratur aus der Feder von Politikern und Militärs unterschiedlichsten Ranges ebenso wie von Zivilpersonen das menschliche Erleben zu Wort kommen lässt. Es ist also im Kern die bislang so schmerzlich vermisste Mentalitätsgeschichte dieses Krieges, die hier vorgelegt wird. So vermag der Leser auch die weittragenden Auswirkungen dieser Geschehnisse besser zu verstehen. Er begreift, wie die Bindungen zwischen den beiden Völkern links und rechts des Rheins zerrissen und dauerhaft verletzt wurden, wie beide Seiten in einen Kriegstaumel geraten konnten, aus dem sie nicht mehr herausfinden konnten. Da fällt dann auch nicht mehr ins Gewicht, dass die Kriegsschuld - wie heute so oft - einseitig Bismarck angelastet wird, der (was das Buch verschweigt) nur mit großen Skrupeln in den Krieg gezogen ist. Empfehlenswert.

Richard Niedermeier

Richard Niedermeier

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Der Bruderkrieg

Der Bruderkrieg

Hermann Pölking/Linn Sackarnd
Herder (2020)

686 Seiten : Illustrationen, Karten
fest geb.

MedienNr.: 601332
ISBN 978-3-451-38456-1
9783451384561
ca. 38,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: Ge
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