Über die Liebe und das Meer

Als Autor gewichtiger Romane bezog Saramago (1922 - 2010) ein Leben lang, mit der Macht seines Wortes, Stellung zu Gott und Welt. Dabei hatte er sich bis zur Lebensmitte schreibend fast ausschließlich als Journalist betätigt, sodass seine zwei Gedichtsammlungen von 1966 und 1970 als Versuch, eine literarische Stimme zu erlangen, gedeutet werden können. Später schrieb Saramago keine Lyrik mehr. Es sind kurze Gedichte, fast alle in zehnsilbrigem Versmaß, angelehnt also an die klassische portugiesische Lyrik, die Gedanken und Gefühle in ansprechenden und verständlichen Bildern verdichten. Thematisiert werden die Liebe und das Schreiben selbst. Auf Rilkes Rat, keine Liebesgedichte zu schreiben, antwortet Saramago mit der Gegenfrage: "Warum nicht, Rainer Maria? Wer hindert / Das Herz am Lieben, und wer entscheidet, / Welche Stimmen sich im Vers artikulieren?" Einige Gedichte beschwören die Kindheit, Wasser und Fluss erzählen alte Geschichten und zeugen im "Urgedicht" von der schwierigen Erinnerungsarbeit des Ichs, die ihm erst eine Zukunft als Wissenden ermöglicht. In diesem Sinne bilden die Gedichte Saramagos auch eine Art Urtext, denn wir finden hier im Kern nicht nur seine Themen, sondern bereits seine Art, sich mit der Welt in Sentenzen und in weisen Sprüchen auseinanderzusetzen. So wechselt auch der Ton, stellenweise ironisch, mal philosophisch, mal lyrisch. Es ist ein Verdienst von Übersetzer und Verlag, diese Auswahl getroffen zu haben, auch wenn der Titel eher die Klischees zu Portugal bedient. Doch die editorische Notiz wiegt es auf, denn dem deutschen Leser werden dort wesentliche Aspekte zum Lyrikwerk von Saramago vermittelt. Nur schade, dass es keine zweisprachige Ausgabe ist, selbst der nichtkundige Leser könnte dadurch eine Ahnung von der wunderbaren Melodie des Originals bekommen. Neben allen anderen Werken von Saramago jedenfalls zu empfehlen. (Übers.: Niki Graca)