Wem gehört die Zukunft?

Die Entwicklung des Internets, wie wir es heute kennen, ist von Anfang an eng verknüpft mit dem Namen Jaron Lanier. Er war einer der treibenden Köpfe hinter den ersten Versuchen, Computersysteme an verschiedenen Orten miteinander arbeiten zu lassen. Wem gehört die Zukunft? Lanier weiß also, wovon er spricht - und wovor er warnt. Denn das Internet und unser Umgang damit bedürfen seiner Meinung nach einer erheblichen Neuorganisation. Es klingt zunächst einmal so wunderbar demokratisch: Alle Informationen sind für alle Menschen jederzeit und vor allem kostenlos im Netz verfügbar. Dass dabei im Hintergrund die Betreiber großer Internet-Server (Lanier nennt sie passend "Sirenenserver") an den mehr oder weniger unbedacht hergegebenen Benutzerdaten ein Vermögen verdienen, wird klaglos hingenommen: "Ist doch für mich alles kostenlos - toll!" Das Ganze führt zum gläsernen Surfer und zu einer Macht-Konzentration von ungeahnten Ausmaßen. Auf die titelgebende Frage, wem denn die Zukunft gehöre, gibt es für Lanier nach derzeitigem Stand der Dinge dann auch nur eine zwangsläufige Antwort: "Dem mit dem größten und leistungsfähigsten Server!" Alle anderen schauen in die Röhre und verlieren im schlimmsten Fall durch die zunehmende Automatisierung am Ende auch noch ihren Arbeitsplatz. Für jemanden wie Lanier, der viel Initiative in den Aufbau und die Gestaltung des Internets gesteckt hat, fällt diese Prognose reichlich düster aus. Und wenn man dem Autor etwas vorwerfen kann, dann, dass er diese Zukunftsaussichten doch sehr, sehr ausführlich und zuweilen furchtbar trocken schildert. Natürlich will er den Leser zum Nach- und Umdenken bringen - aber etwas weniger an dieser Stelle hätte es auch getan. - Gibt es Auswege? Lanier kann ausdrücklich kein Konzept anbieten nach dem Motto "Macht es so und alles wird gut!" Vielmehr gibt er einige Denkanstöße in Richtung dessen, was er als "humanistische Informatik" bezeichnet. Und diese Gedanken haben es in sich und verdienen, gelesen und reflektiert zu werden. Beispiel: Lanier spricht sich für ein Ende der Umsonst-Mentalität aus. Alle, die Daten gleich welcher Art zur Verfügung stellen, müssten bei Nutzung und Weitergabe durch die Serverbetreiber (und somit letztlich auch durch die Endnutzer) angemessen honoriert werden. Technisch wäre das über eine Weiterentwicklung von zurückweisenden Links umsetzbar - nur werden die Betreiber von "Sirenenservern" das natürlich keinesfalls von sich aus tun. Ferner fordert Lanier wie bereits andere vor ihm die Offenlegung der Algorithmen, welche eine Grundlage des Erfolgs von Google, Facebook, Amazon & Co. sind - auch das wird wohl nur auf erheblichen Druck von außen passieren. Dass ein solches Umdenken beim Internetnutzer im Moment wohl noch in weiter Ferne liegt, sieht auch Lanier. Aber die Hoffnung mag er dennoch nicht aufgeben. Utopie? Nun ja, das war das Internet in den frühen 1980er Jahren auch mal ... - Bei genauerem Hinsehen gibt es derzeit wohl kaum einen würdigeren Preisträger für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2014 als diesen Titel. Ab mittleren Beständen und einem internetaffinen Publikum interessant. (Übers.: Dagmar Mallett und Heike Schlatterer)

Thomas Oberholthaus

Thomas Oberholthaus

rezensiert für den Borromäusverein.

Wem gehört die Zukunft?

Wem gehört die Zukunft?

Jaron Lanier
Hoffmann und Campe (2014)

479 S.
fest geb.

MedienNr.: 398049
ISBN 978-3-455-50318-0
9783455503180
ca. 24,99 € Preis ohne Gewähr
Systematik: So, Te
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