Besetzte Gebiete
Kadoke setzt sich als Psychiater über Gebühr für eine psychisch kranke Patientin ein und stellt sie als Pflegerin für seinen Vater ein. Ein mit ihr befreundeter Schriftsteller macht aus dieser Patientenbeziehung eine Missbrauchsgeschichte, die sich wunderbar vermarkten lässt - das kostet Kadoke, der sich hilflos zu wehren versucht, die Approbation. Eine zwischen Aufdringlichkeit und Zugewandtheit auftauchende Cousine des Psychiaters schafft trotz anfänglichem Widerwillen seinerseits die Annäherung und lockt den Verwandten in das Westjordanland, wo sie zionistisch ihr Leben gestaltet, wohingegen Kadoke mit der gemeinsamen jüdischen Geschichte ganz anders umzugehen pflegt. Trotzdem mündet die Verbindung in eine Ehe, in der Kadoke zwar einen Fluchtpunkt findet, sich selbst aber zu verlieren droht. Was fast schon komödiantisch begann, endet in einer Tragödie. - Mit Wortwitz, Selbstironie und temporeichem Erzählen breitet Grünberg das Leben des niederländischen Psychiaters mit jüdischen Wurzeln aus, das seinen Lauf nimmt, dem sich die Hauptfigur nicht mehr erwehren kann. Selbstbestimmung, geschichtliche Aufarbeitung, Beziehungsarbeit und Lebenskonzept scheinen Gefahr zu laufen, ein Buch zu überfrachten; Grünberg legt aber trotz aller Ernsthaftigkeit und Tiefe eine sprachliche Leichtigkeit und Führung der Leserschaft an den Tag, dass der Roman den Anspruch stemmen kann. Eine beindruckende schriftstellerische Leistung.
Christine Vornehm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Besetzte Gebiete
Arnon Grünberg ; aus dem Niederländischen von Rainer Kersten
Kiepenheuer & Witsch (2021)
428 Seiten
fest geb.