Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung

Haroun, die Erzählerfigur, ist neun Jahre alt, als der Mord an Moussa geschieht, von dem Albert Camus im Roman "Der Fremde" (L'Étranger) erzählt. Moussas Tod gibt dem Leben der Mutter und somit auch dem Harouns eine fatale Wendung. Jetzt sitzt er Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung als alter Mann in einer kleinen Bar und lässt sein Leben, das auch das des getöteten älteren Bruders ist, Revue passieren. Der 1970 geborene algerische Journalist und Autor Kamel Daoud verleiht in Gestalt seiner Erzählfigur Haroun dem Opfer des Franzosen Meursault, das bei Camus keinen Namen trägt, eine Stimme und eine eigene Geschichte. Den Wechsel der Zeiten, von Kolonialreich über Unabhängigkeitskrieg bis zum Aufbau des algerischen Staates, schildert Daoud souverän und spannungsvoll. Seine Sprache ist farbig. Das Porträt der dominanten, durch den Tod des ersten Sohnes traumatisierten Mutter ist ebenso eindrucksvoll wie der Duktus der einfachen, als mündliche Erzählung und persönliche Anrede an den Leser gehaltenen Sätze Harouns. Der steht dem Leser daher plastisch und zugleich als Gegenentwurf zu Meursault vor Augen. Dabei wird die menschliche Tragik des Lebens zwischen Wiedergänger seines toten Bruders und selbst zum Täter werdend auch Lesern erschlossen, die mit Camus nicht vertraut sind. Das Buch kann uneingeschränkt einem interessierten und anspruchsvollerem Lesepublikum empfohlen werden. (Übers.: Claus Josten)

Helmut Krebs

Helmut Krebs

rezensiert für den Borromäusverein.

Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung

Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung

Kamel Daoud
Kiepenheuer & Witsch (2016)

199 S.
fest geb.

MedienNr.: 584292
ISBN 978-3-462-04798-1
9783462047981
ca. 17,99 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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