Alle, die vor uns da waren
Die Ich-Erzählerin und ihr Ehemann erhalten eine Einladung in ein Ferienhaus nach Irland, das vormals Heinrich Böll gehörte. Dies befindet sich auf einer Insel weitab jeglicher Zivilisation und so ist das Paar auf sich selbst zurückgeworfen, was den Grundstein legt, die Welt ohne jede Ablenkung betrachten zu müssen, wie sie ist. Weder Handy, Internet noch Möglichkeiten des Konsums bieten Fluchtpunkte. Von Böll selbst, der doch tatsächlich noch an seinem Schreibtisch sitzt, erfährt die Reisende, dass "alle, die vor uns da waren, noch bei uns sind". So kehren verstorbene Familienangehörige in Gedanken wieder und treten in Kontakt zur Erzählerin, die unschwer zu erkennende Parallelen zur Autorin Vanderbeke aufweist. Gleich aneinanderreihenden Bewusstseinsströmen laufen Lebensphasen vor dem inneren Auge der Protagonistin ab, sodass wohl alles Wesentliche angesprochen wird - die Generationen vor der Erzählerin über die Erziehung ihres Sohnes bis hin zu ihrem Enkel. Verwoben damit bietet der Roman eine umfassende Schau der globalen Gegenwart mit all ihren Herausforderungen und Scherbenhaufen. Umwelt, Klima, Krieg und sklavenhalterische Wirtschaftssysteme werden da in den Ring geworfen und teils am Rande, teils mit drastischen Bildern dargestellt. Die Welt liege benebelt im Koma, fasst die Erzählerin zusammen und lässt mit dieser Diagnose ihre Leser/innen zurück. Es ist das Bedürfnis spürbar, dass alles Wesentliche erzählt und gesagt werden wollte. Das gelingt Birgit Vanderbeke sprachlich gewohnt leichtfüßig, aber inhaltlich nicht so überzeugend wie bisher.
Christine Vornehm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Alle, die vor uns da waren
Birgit Vanderbeke
Piper (2019)
170 S.
fest geb.