Als ich ihr Balzac vorlas

Rachid Benzine kam mit sieben Jahren mit seiner Familie - Vater, Mutter, vier Brüder - aus Marokko nach Frankreich. Das erzählende Sachbuch beginnt, als Benzine, mittlerweile Literaturdozent an einer französischen Universität, allabendlich seiner pflegebedürftigen Mutter aus ihrem Lieblingsbuch, - "Das Chagrinleder" von Balzac - vorliest. In Rückblicken, die von einer großen Liebe zu seiner Mutter geprägt sind, schildert Benzine das Leben seiner Mutter, die als Berberfrau aus einfachen Verhältnissen stammte, nie richtig die französische Sprache erlernte und nach dem Tod des Vaters als Putzfrau die Familie durchgebrachte, die in einer kleinen Zweizimmerwohnung wohnen musste. In vielen kleinen Begebenheiten, die Benzine schildert, entfaltet sich eine mehr oder weniger typische Einwanderergeschichte: das Leben auf engstem Raum, aber mit großem Familienzusammenhalt; die Mutter, die nicht lesen kann und sich nur ein paar französische Brocken aus Zeitungen und Illustrierten beibringt; die Schwierigkeiten mit ihrer Umwelt, die sich aus ihrer Sprachlosigkeit und ihrem Analphabetentum ergeben und die bedingungslose Liebe, die aber dennoch in vielen Episoden deutlich wird - so zum Beispiel, als die Mutter dem Sohn Badehosen strickt oder die Söhne, die der Mutter Liedtexte beibringen, damit sie Lieder aus ihren Lieblingsfernsehshows mitsingen kann. Auf nur 88 Seiten erlebt der Leser/die Leserin, wie wichtig Liebe, Zusammenhalt und Hingebung im Leben sind und die Dichte der Texte entlässt den Leser mitgenommen und mit dem Gefühl, ebenso im Alter geliebt werden zu wollen. Eine ganz wunderbare Lebensschilderung, die zu Herzen geht. Für alle Büchereien und auch eine schöne Geschenkidee.