Der innere Stammtisch
Von September 2019 bis April 2020 hat der Literaturkritiker und Zeit-Autor Ijoma Mangold ein sehr persönliches politisches Tagebuch geführt. Auf humorvolle Weise geht er darin den politischen Strömungen und Moden unserer Zeit nach und entlarvt dabei moralisierende Phrasen, Vereinfachungsstrategien und einseitige Tabus. Dabei nimmt Mangold auf kein politisches Farbenspiel Rücksicht. Ohne seine eigenen Überzeugungen zu verraten, beleuchtet er auch die Verhältnisse in seinem eigenen 'inneren Stammtisch'. Wo kommt sie her, die Empörungskultur, die ohne politische Krise im Land keine Ruhe mehr findet. Da spricht man schnell der Gegenseite etwas ab, was man selbst fröhlich praktiziert: das Arbeiten mit Vorurteilen und Verallgemeinerungen genauso wie unter Umständen sogar die Anwendung von Gewalt. Wichtig scheint zu sein, dass man selbst Recht bekommt. Wer dauernd den Weltuntergang sieht, durch die Klimakatastrophe etwa oder durch den angeblich gezielten Austausch der Bevölkerung, der darf eben nicht zimperlich sein und schon gar nicht differenzieren, abwägen, zuhören. Mangolds Tagebuch ist eine pointierte und vor allem ehrliche Analyse des Zustandes unserer Gesellschaft in Zeiten der sozialen Medien und des politischen Umbruchs.
Walter Brunhuber
rezensiert für den Borromäusverein.
Der innere Stammtisch
Ijoma Mangold
Rowohlt (2020)
270 Seiten
fest geb.