Die Geburt der Wissenschaft
Aus der Biografie eines antiken Forschers, die sich auf nur wenige Quellen stützen kann, entwickelt der Physiker Carlo Rovelli eine Beschreibung, wie sich wissenschaftliches Denken entwickelt hat. Dies gelingt dem Autor, der selbst Physiker ist, weil er als ein Humanist antike Kulturen und Literaturen kennt und schätzt. So vereint er glücklich Kultur- und Wissensgeschichte. Der griechische Forscher und Philosoph Anaximander aus dem 6. vorchristlichen Jh. wird bei ihm gleichsam zum Kristallisationspunkt einer revolutionären Entwicklung. Die griechische Stadt Milet an der Westküste der heutigen Türkei stellt Rovelli als Schnittpunkt verschiedener Kulturen vor. Freiheit und kritisches Denken unterscheiden sie bereits von den Monarchien anderer Weltgegenden. Das sind die günstigen Grundlagen für Anaximander, der auch im Bereich des Wissens Überliefertes hinterfragt und voraussetzungslos rational Fragen auf den Grund geht. Für Anaximander gibt es im Gegensatz zu orientalischen oder chinesischen Weltmodellen kein "unten" oder "oben", weil die Erde frei im Raum schwebe und Dinge einfach anziehe. Seine Erkenntnisleistung vergleicht Rovelli mit der des Kopernikus, der das heliozentrische Weltsystem begründete. Klare Darstellungslinien und Konzentration auf wenige Schwerpunkte kennzeichnen die 12 Kapitel dieses Buches. Ein Register und 20 schwarzweiße Abbildungen ergänzen diese gut lesbare Kulturgeschichte.
Bernhard Grabmeyer
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Die Geburt der Wissenschaft
Carlo Rovelli ; aus dem Französischen von Monika Niehaus
Rowohlt (2019)
229 Seiten : Illustrationen, Diagramme, Karten
fest geb.