Das Tagebuch der Menschheit

Wie Carel van Schaik (Anthropologe, Evolutionsbiologe) und Kai Michel (Historiker, Literaturwissenschaftler) in der Einleitung erklären, ist es nicht ihr Anliegen, die Bibel theologisch und religionswissenschaftlich neu zu deuten, sondern sie unter dem Aspekt der kulturellen Evolution zu untersuchen. Um ihre Thesen deutlich darzulegen, nehmen sie den Leser mit auf eine, schwerpunktmäßig im Alten Testament angesiedelte Reise von Adam und Eva bis zu Jesus und der Geburt des Christentums. Als Grundlage ihrer Argumentation sehen sie die großen Veränderungen in den Lebensbedingungen der Menschheit, die mit zahlreichen Geschichten der Bibel korrespondieren. So ist für die Autoren z.B. die Vertreibung aus dem Paradies ein anschauliches Bild vom Übergang des Lebens als Jäger und Sammler zum sesshaften, Land besitzenden Bauern oder die Sintflut, die auch bei anderen Völkern literarisch verarbeitet wurde, eine reale, gewaltige Überflutung mit riesengroßen Herausforderungen für die betroffenen Menschen. Jeder Umbruch in der Evolution - so die Verfasser - bedeutete stets auch Anpassung an neue Lebensverhältnisse, brachte Probleme, Krieg und Krankheiten, für deren Ursache die Menschen keine Erklärung fanden. Auf die Fragen "warum und weshalb" können jedoch Spiritualität und Religion eine erleichternde und beruhigende Wirkung haben, ja sogar Antworten geben. Obwohl Schaik und Michel, die sich als Agnostiker bezeichnen, die Bibel als Tagebuch der Menschheitsentwicklung und nicht als Wort Gottes sehen, kommen sie zu dem Schluss, dass diese Schrift "der vermutlich ambitionierteste Versuch ist, menschliche Probleme in den Griff zu bekommen." - Man wird als Christ vielen Aussagen und Argumenten nicht zustimmen können, aber die Beschäftigung mit diesem Buch weitet den Blick auf das "Buch der Bücher". Kritischen Lesern zu empfehlen!