Ein sterbender Mann

Theo, Anfang 70, einstmals erfolgreicher, nun aber ausgebooteter Geschäftsmann und seit Neuestem Krebspatient, will nicht mehr weiterleben. Er zieht sich zurück und verkehrt nur noch brieflich: mit seiner Frau Iris, die er verlassen hat, auf die Ein sterbender Mann er aber nichts kommen lässt; mit der tangobegeisterten Sina, in die er sich in einem kurzen Moment hellster Verrücktheit verliebt hat, die allerdings in einer offenen Beziehung zu seinem Business-Widersacher lebt; mit der lebensmüden Aster, mit der er sich in einem Suizid-Forum im Internet austauscht; mit einem namenlosen "Herrn Schriftsteller", dem er die Summe seiner Korrespondenz referiert und dabei stets betont, Opfer eines schlimmen Verrats geworden zu sein. Martin Walser erzählt (teils in Co-Autorschaft mit der Sinologin Thekla Chabbi) von Menschen in der zweiten Lebenshälfte, seelischen Verletzungen und der vom Ende des irdischen Lebens ausgehenden Sogwirkung. Er bringt mehrere relativ disparate Nebenstränge in die Handlung ein, etwa eine Kritik am Literaturbetrieb und an der Münchner Schickeria sowie die väterlicherseits algerische Herkunft der Figur Sina. Die Protagonisten in Walsers Briefroman schlagen oft einen hohen, pathetischen, bisweilen ungelenken Ton an. Das Erzählen aus der Perspektive der beteiligten Figuren und manche sich widersprechende Aussagen innerhalb von Theos Korrespondenz sorgen dafür, dass Zweifel an der Aufrichtigkeit des Geschriebenen entstehen. Die besten Passagen des Textes sind jene, in denen Sina nach ihrem Vater sucht und dabei von Italien in ein algerisches Beduinendorf reist, sowie Theos teils augenzwinkernde Überlegungen über eine gerechtere Gesellschaft und über die letzten Dinge des Menschseins.

Thomas Völkner

Thomas Völkner

rezensiert für den Borromäusverein.

Ein sterbender Mann

Ein sterbender Mann

Martin Walser
Rowohlt (2016)

286 S.
fest geb.

MedienNr.: 585371
ISBN 978-3-498-07388-6
9783498073886
ca. 19,95 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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