Die Sonnenposition

Wohnung und Wirkungsstätte des Psychiaters Altfried Janich ist ein heruntergekommenes ehemaliges preußisches Barockschlösschen, das nun nach der Wende als psychiatrische Anstalt dient. Die desolaten Räumlichkeiten dieses "Narrenschlosses" (S.156), die Arbeit mit den Patienten und deren sonderbare Fallgeschichten stellen einen Schwerpunkt des Romans dar, wobei Altfried aus der nur scheinbar wissenden Position des Arztes, der "Sonnenposition" agiert. Aber: "Die Sonne verbirgt - indem sie blendet - die Schwärze des Alls." Die Hilfe, die der Psychiater seinen Patienten bietet, ist also nur eine scheinbare und vordergründige. Er fühlt sich hilflos, ausgeliefert, beinahe selbst als Fall. Der zweite eingeflochtene Handlungsstrang beschäftigt sich mit dem mysteriösen Tod seines undurchschaubaren Freundes Odilo. Nach dessen Begräbnis stellt sich heraus, dass Altfrieds Schwester in geheimem Einvernehmen mit Odilo stand. Ein Liebesverhältnis? Die genaueren Umstände bleiben verborgen und können vom Bruder nur imaginiert werden. Alles bleibt im Ungewissen, auch das rätselhafte Verschwinden des Freundes. - Dieser Roman der sprachgewaltigen, vielfach ausgezeichneten Autorin gehört zu der Sorte von Texten, bei denen die bloße Handlung beinahe von untergeordnetem Belang bzw. nur im Hinblick auf ihre verborgenen Botschaften und ihren Symbolgehalt von Bedeutung ist. Im Kern handelt es sich um einen Text, der die Absurdität der menschlichen Existenz in zahllosen eindringlichen Bildern variiert, der über die Grenzen unserer Erkenntnis und die hilflose Suche nach Wahrheit, Heilung und Rettung meditiert: "Die Sonnenstrahlen verhüllen das Weltall (...) Vor der Finsternis hängt ein Vorhang aus Licht." (S. 328) Für literarisch ambitionierte Leser nachdrücklich empfohlen! (Nominiert für den Deutschen Buchpreis)