Von oben

Es gibt Bücher mit Erzählern, die tot sind und trotzdem etwas erzählen können. Eine Spezialistin für Jenseitsromane dieser Art ist Sibylle Lewitscharoff. Ihre metaphysischen Antennen sind mehrdeutig nach oben ausgerichtet. Schon in "Blumenberg" Von oben (BP/mp 11/877) und in "Pfingstwunder" (BP/mp 16/960) herrschte ein reger Botschaftsverkehr zwischen Jen- und Diesseits. "Von oben": Das ist zunächst ein Roman über eine endlos gedehnte Todessekunde, den sogenannten Ultrachronos. Das zeigt sich vom Ende des Romans her - und ist die finale Überraschung beim Lesen. Von dem, was Lewitscharoffs Sterbender, der zwischen Leben und Tod schwebende Erzähler, erfährt, wird in kleinen Kapiteln erzählt. Sie führen aus dem Himmel über Berlin nach unten, in Wohnungen von Verwandten und Freunden, in Erinnerungen, an den Schlachtensee, nach Kreuzberg und einmal auch in die Privatküche der Bundeskanzlerin, die gerade bei einer Tasse Tee Akten studiert. Auch Besuche bei anderen Dichtern kommen vor. Es sind aber allesamt Einblicke in Gewohntes, das fremd, und in Fremdes, das auf einmal vertraut geworden ist: Schattenwürfe aus einer unbehausten Zwischenwelt, die religiös grundiert ist. Gefragt wird nach Geburt und Grab, Trost und Trauer, Schönem und Schlimmem. Offenbar hat sich die Autorin vielfach an Wim Wenders' Film "Der Himmel über Berlin" gehalten; nur ist ihr Erzähler kein gefallener Engel, sondern ein fallender Mensch. Eine kühne Seelenrede aus einem ins Diesseits verschobenen Jenseits, voller Ein- und Ansichten über Gottes- und Menschenbilder im Angesicht des Todes. Sehr empfehlenswert.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Von oben

Von oben

Sibylle Lewitscharoff
Suhrkamp (2019)

237 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 599556
ISBN 978-3-518-42893-1
9783518428931
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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