Späte Gäste

In einem Tessiner Gasthof sitzt eine Frau und erinnert sich, wie sie einst von hier floh: vor einem dem Alkohol verfallenen Mann. Unauffällige Sätze sind es, die sie in ihre Prosa einstreut, ja geradezu dort zu verstecken scheint. Sätze, die die Späte Gäste Wirklichkeitsauffassung ihrer Figuren spiegeln und zugleich zentrale Elemente ihrer Poetik verraten. "Späte Gäste" ist der aus drei Teilen bestehende Roman einer Nacht. Aus gutem Grund ins Tessin zurückgekehrt ist die Frau, welches sie einst "in bitterer Hast" zusammen mit ihrem Kind Richtung Norden verließ. Zurückgelassen hatte sie damals ihren Lebensgefährten Orion, der an seinen Misserfolgen als Architekt und am Alkohol zu zerbrechen drohte. Nachdem er gestorben ist, hält sie allein die Totenwache für ihn, denn der Wirt ist in seiner sizilianischen Heimat, die Tochter sitzt im Nachtzug und die Wirtschafterin Serafina begeht den Fasnachtsauftakt im Dorf. Die sonderbare Atmosphäre mit nächtlichen Geräuschen in der kalten, dem Verfall preisgegebenen Villa bringt es mit sich, dass Gegenwart, Träume und Erinnerungen auf magische Art verschmelzen. - Seit ihren Anfängen in den 70-ern hat die Autorin eine imponierende Souveränität entwickelt, einen leuchtende Teppich aus nicht voneinander zu trennenden Motiven und Farben zu weben ohne künstliche Wirkung der Bilder, die ineinander verschränkt sind. Ein absolut lesenswerter Roman.

Gudrun Schüler

Gudrun Schüler

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Späte Gäste

Späte Gäste

Gertrud Leutenegger
Suhrkamp (2020)

174 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 956689
ISBN 978-3-518-42958-7
9783518429587
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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