Schafskälte
Davids Mutter scheint nach ihrer Scheidung den perfekten Neuanfang zu finden, als sie eine Landarztpraxis in einem kleinen Dorf in der Marsch übernimmt und mit ihrem Sohn David, Abiturient, eine romantische Kate bezieht. Der Leser weiß schon, anders als die beiden Neuzugereisten, dass sich vor 52 Jahren in dieser Kate eine Katastrophe zugetragen hat: ein Massaker an 17 Schafen, bösartige Anschuldigungen gegen den Schäfer und dessen Selbstmord in der Kate. All die Jahre hat die Dorfbevölkerung den Selbstmord des Schäfers als Ende der Bluttat angesehen, aber der wahre Täter lebt noch unter ihnen. Die Autorin lässt die Personen in Gegenwart und Vergangenheit selbst zu Wort kommen, stellt sich auf deren Denk- und Ausdrucksweise ein und zeigt dem Leser, wie subjektiv menschliches Erleben sein kann. Am Ende erweist sich auch der eigentliche Täter als Opfer von ganz anderen Verantwortlichen, die durch den Zweiten Weltkrieg auch die Seelen der Überlebenden zerstört haben. Ganz anders als bisherige Bücher der Autorin (nur gelegentlich tauchen seichte Elemente ihrer sog. Mädchenliteratur auf) zeigt sie hier literarische und sprachliche Tiefe, die das zutiefst pazifistische Buch empfehlenswert macht.
Lotte Schüler
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Schafskälte
Bianka Minte-König
Thienemann (2011)
173 S.
fest geb.