Kleist
Wer sich im Kleistjahr 2011 über den schwierigen, einsamen, zu Lebzeiten verkannt genialen Dichter Heinrich von Kleist (1777-1811) informieren möchte, ist in der luxuriösen Lage, gleich vier neuere Biografien konsultieren zu können. Neben die 2007 erschienenen Bücher von Gerhard Schulz (BP 08/50) und von Jens Bisky (ebd.) sowie die wissenschaftlich sehr innovative Biografie, die der Kölner Germanist Günter Blamberger soeben vorgelegt hat, tritt die Annäherung des Journalisten und Theaterkritikers Peter Michalzik. Er erzählt zwei Geschichten von Kleists Leben, die sich durchkreuzen und wechselseitig erhellen: Die eine ist die Geschichte seiner Seele, ungeheuerlich, zu groß für seine Zeit, letztlich unaussprechlich und doch Stoff für gewaltige Tragödien, für halbgöttliche Komödien und bis heute spannend zu lesende Novellen. Die andere ist die Geschichte der Zeit, in der Kleist lebte und reiste und nach Bildung hungerte, die Geschichte einer zugleich militanten und humanistischen Welterneuerungsepoche. "Dichter, Krieger, Seelensucher" ist die Formel, die beide Geschichten zusammenhält. So entsteht das Bild eines Dichters, der "zwischen Denksport und Empfindsamkeit" seinen Ort gesucht hat. Michalzik erzählt spannend und gut nachvollziehbar, manchmal mit zu grellen Lichteffekten, etwa wenn es um die Würzburger Reise geht (hier "wurde aus ihm selbst Literatur") oder um den Doppelselbstmord mit Henriette Vogel am Wannsee (in der Figuration von Vouets "Sterbender Heiliger Magdalena"). Gleichwohl: ein anschauliches Lesebuch auf Kleists Lebensspuren, allen Beständen zu empfehlen.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Kleist
Peter Michalzik
Propyläen (2011)
557, [16] S. : Ill.
fest geb.