Ari heißt Löwe
Memoiren von Journalisten sind ein tückisches Genre, denn der Blick des Reporters neutralisiert für gewöhnlich persönliches Erleben. Mit Ari Raths Erinnerungen, die unter kundiger Mithilfe der Journalistin Stefanie Oswalt entstanden, verhält es sich anders. Es ist das eindringliche Buch eines Zeitzeugen, der sein Medium beherrscht: Die Zeit wird zum Ereignis. Der 1925 in Wien geborene und nur mit knapper Not vor den Nazis nach Palästina entkommene Ari Rath war Gründungsmitglied eines Kibbuz und über 30 Jahre bei der englischsprachigen "Jerusalem Post" tätig, als Redakteur, Chefredakteur und Herausgeber. Rath formte aus einem Hofberichterstattungsblatt eine liberale und kritische Zeitung und engagierte sich selbst immer wieder im israelisch-palästinensischen Dialog. 1967, im Jahr des Sechstagekrieges, baute er eine Verständigungsbrücke, indem er sich den parteiischen Benennungen "Judäa und Samaria" und "occupied territories" verweigerte und stattdessen von "israelisch verwalteten Gebieten", "administered territories" sprach. Er kommentierte die Höhen und Tiefen der israelischen Zeitgeschichte, oft auf Augenhöhe mit den Großen der Politik. Er erlebte die Aufbaujahre in Palästina/Israel als junger Einwanderer, war bei den historischen Gesprächen Adenauers und Ben Gurion 1960 (in New York) und 1966 (in der Negev-Wüste) dabei, beriet Ben Gurion und kaufte mit Teddy Kollek Waffen in New York, er kam mit Sadat und mit Kreisky zusammen. Auch Weltereignisse wie den Militärputsch in Chile und die Wendezeit in Berlin beschrieb er für seine Zeitung. "Ari heißt Löwe" ist ein treffender Titel für eine Lebenserzählung zwischen Front und Schreibtisch, zwischen Europa und Nahost, ein Plädoyer, es an nichts fehlen zu lassen, was der Verständigung der Nachbarn dient. Eine zeitgeschichtliche Sternstunde, ein forschender Blick in die "Seele des Zionismus" (Ruth Klüger). Allen Beständen empfohlen.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Ari heißt Löwe
Ari Rath. Aufgezeichnet von Stefanie Oswalt
Zsolnay (2012)
339 S. : Ill.
fest geb.