SOS Kinderseele

Argumentativer Ausgangspunkt dieser engagierten, leicht verständlichen Streitschrift des langjährigen Kinder- und Jugendpsychiaters ist das entwicklungspsychologische Stufenmodell des Verfassers, basierend auf "Freud, Adler, Jung, Erikson, Winnicott und Piaget" (S. 29 ff.). Außerdem stützt sich der Autor auf zahlreiche Interviews mit Eltern, Erziehern und Lehrern. Immer zahlreicher sind nach den Erfahrungen des erfolgreichen Bestsellerautors ("Warum unsere Kinder Tyrannen werden", 2008) die Kinder, die psychisch nicht altersgemäß entwickelt sind und deutliche Defizite in Bezug auf ihre soziale und emotionale Intelligenz aufweisen. Schon in Kindergarten und Schule fallen sie z.B. auf durch mangelnde Empathie, geringe Frustrationstoleranz, unzureichend ausgeprägte Gewissensinstanz oder mangelnde Arbeitshaltung. Verantwortlich für solche Fehlentwicklungen, die auch im Erwachsenenalter nicht leicht zu kompensieren sind, ist nach Ansicht des Verfassers das rasante Umsichgreifen modischer Erziehungskonzepte, die Eltern und Erzieher nachhaltig verunsichern. Statt "symbiotischer Identifikation" mit dem Kind, statt schädlicher "Harmoniesucht" und einer Überforderung der Kinder durch eine ideologiegeleitete "partizipative Pädagogik" (S. 90) und dem Zurückdrängen der Lehrerrolle (Stichworte: "Freies Lernen", "Kind als Partner") sollte wieder intuitives, als traditionell und rückwärtsgewandt denunziertes Erziehungshandeln, das in Wirklichkeit der kindlichen Psyche Struktur und Sicherheit verleiht, treten. Vor allem die vielen Lehrer und Erzieher, die die Folgen dieser Fehlentwicklung zu tragen haben, fordert er auf zum "Protest gegen eine komplett falsche Richtung im Bildungssystem" (S.189). In jedem Fall lesenswert.