Welt im Zwiespalt

Der Heidelberger Zeitgeschichtler Edgar Wolfrum legt ein umfassendes und beeindruckend vielseitiges Panorama des 20. Jahrhunderts vor. Seine wechselnden Perspektiven fokussieren die Entwicklung jeweils in Gegensätzen: Krieg und Frieden, Demokratie und Diktatur, Naturbeherrschung und Umweltkatastrophen, Säkularisierung und Rückkehr der Religionen, Überbevölkerung und Bevölkerungsrückgang u.ä. Dass im Eingehen auf so unterschiedliche Daseinsdimensionen wie Geschlechterverhältnis, Kolonialismus und Lebensglück nicht immer nötige Differenzierung und analytische Schärfe vorherrschen, ist dem Autor nicht vorzuwerfen. Seine eingängigen Sichtweisen berücksichtigen viele Fragen und Fakten, um die These vom widersprüchlichen Jahrhundert, dessen Widersprüche bis heute nicht gelöst sind, zu verdeutlichen. Im Religions-Kapitel etwa schließt er sich mit Recht der Revision jener Haltung an, die Moderne und Glauben für unvereinbar hält und einen unaufhaltbaren Siegeszug der Säkularisation vermutet. Wenn die "Religions- und Weltanschauungsfreiheit [...] das global am wenigsten respektierte Menschenrecht" ist (S. 248), so weist Wolfrum zugleich darauf hin, dass im 20. Jahrhundert religiöse Bewegungen eine Renaissance erlebten und geht dabei auch auf das Zweite Vatikanum und die Befreiungstheologie ein. Die mit kriegerischen Auseinandersetzungen verbundene Erstarkung des Islam ist neben den Umweltfragen und Chancenungleichheiten der Länder eine wesentliche Klammer zu unserem 21. Jahrhundert. Die profunde Zusammenschau von Widersprüchen und ihrer Entwicklungsperspektive hilft, die Gegenwart besser zu verstehen. - Das Buch sei allen Beständen zur zeitgeschichtlichen Orientierung empfohlen.