Mitternacht zu sein ist nicht jedem gegeben

Die namenlose Protagonistin hat sich entschlossen, drei Tage im ehemaligen Strandhaus über den Klippen alleine zu verbringen. Der Roman beginnt mit ihrer Ankunft, sie atmet Meeresluft und Pinienbrise ein und startet ihren inneren Monolog. Wie es bei Mitternacht zu sein ist nicht jedem gegeben dem portugiesischen Schriftsteller üblich ist, laufen dennoch weder die Handlungsschritte der Ich-Protagonistin noch ihre Erinnerungen linear. Die Episoden aus der Kindheit, erinnerte Gesprächsfetzen, einzelne Beschreibungen, ihre Lebensabschnitte von der Geburt bis in die Gegenwart: alles dreht sich im Kreis, sogar in mehreren Kreisen, die wiederum sich schneiden, sich verbinden und verknoten. Der Leser sieht sich mit einem Knäuel aus Handlungen konfrontiert und versucht, teils frustriert, teils in großer Anspannung, an einem der vielen Enden zu ziehen, um wieder den Boden der Tatsachen zu betreten. Trotz einer sehr problematischen Familie werden die Erinnerungen von einer großen Sehnsucht nach einem harmonischen Familienbild geleitet, denn ihr Leben als Erwachsene plätschert so dahin, ihr Ehemann beachtet sie kaum, sie hat keine Kinder gebären können, hinzu kommt später eine Krebserkrankung, von einer Arbeitskollegin wird sie zwar geliebt, aber diese Beziehung beglückt sie nicht. Ihre um frühere Erlebnisse kreisenden Gedanken verdichten sich zu einer Rede in Rage, als müsste sie am Ende ihres Lebens, das sie sich selbst setzt, alles wieder erfahren und erspüren, freilich nicht weil sie es zurechtzurücken versucht, sondern weil das leere Haus Vergangenes in Gegenwart verwandelt, in eine Gleichzeitigkeit des Erlebens und des Fühlens, die den Text selbst schreiben. - Noch nie hat es Lobo Antunes seiner Leserschaft leicht gemacht. Auch in diesem Roman muss man sich vom Sog der Bildervielfalt einnehmen lassen. Für Antunes-Kenner und -Liebhaber sicherlich eine großartige Lektüre. Für große Bestände. (Übers.: Maralde Meyer-Minnemann)

Luísa Costa Hölzl

Luísa Costa Hölzl

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Mitternacht zu sein ist nicht jedem gegeben

Mitternacht zu sein ist nicht jedem gegeben

António Lobo Antunes
Luchterhand (2015)

574 S.
fest geb.

MedienNr.: 798264
ISBN 978-3-630-87424-1
9783630874241
ca. 24,99 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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