Ich gehe wie ein Haus in Flammen
Der Titel des Buches dient als Refrain eines nicht endenden düsteren Musikstücks, aufgeführt von einem mehrstimmigen Chor. Da sind die Bewohner auf vier Stockwerken eines Mietshauses irgendwo in Lissabon, eine alte Richterin, ein Angola-Kriegsveteran, ukrainische Überlebende des Holocausts, eine Schauspielerin (die sich zumindest dafür hält), ein Alkoholiker mit und zugleich ohne Familie, ein von der damaligen Geheimpolizei Verfolgter, eine alleinstehende einsame dicke Frau, ein unglücklicher Witwer. Jedem Kapitel entspricht eine Mietspartei und zunächst darf jeder Bewohner von seinem Leben erzählen. Schon sehr bald vermischen sich die Fäden, als seien die Wohnungswände zu dünn. Zu den Stimmen der Bewohner kommen andere, von Verwandten oder Lebensgefährten. Sie ergänzen mit weiteren Puzzlestücken die verworrenen Erinnerungsbilder. Und über allen Stimmen scheint eine allwissende Erzählerstimme zu schweben, die Eingang hat in die Wohnung und die Seele eines jeden Unglücklichen. Lobo Antunes bedient sich der literarischen Strategie des "Mietshaus-Romans" und bringt durch seine polyphone Erzählweise diese Tradition zur Höchstform. Hier steht das Haus "in Flammen", weil jeder Protagonist in Flammen geht, sich gespenstisch in unendlichen Kreisen dreht und in seiner eigenen Hölle zu überleben versucht. Von dieser Hölle aus schaut jeder auf das eigene Leben "voller verstreuter Ruinen" (S. 322). - Maralde Meyer-Minnemann ist wie immer eine grandiose Übersetzung gelungen, die sicherlich anspruchsvollen und geduldigen Lesern Freude bereitet und Lobo Antunes' bedingungslose Fans vollkommen zufriedenstellt.
Luísa Costa Hölzl
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Ich gehe wie ein Haus in Flammen
António Lobo Antunes
Luchterhand (2017)
443 S.
fest geb.