Anatomie eines Genozids
Mit der galizischen Stadt Buczacz, die heute zur Ukraine gehört, verbindet sich die Erinnerung an einen Massenmord an den dort lebenden Juden während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Der jüdische Historiker Omer Bartov hat diese furchtbaren Geschehnisse aus den Erinnerungen seiner Mutter rekonstruiert, die Grenzen einer bloßen Familiengeschichte aber durch umfangreiche Recherchen zur Geschichte der Stadt und des dort seit Jahrhunderten ansässigen Judentums sowie durch zahlreiche weitere zeitgeschichtliche Zeugnisse und Erlebnisberichte gesprengt. Herausgekommen ist eine historisch und psychologisch, aber auch emotional beeindruckende Studie, die zeigt, wie die Juden zum Spielball verschiedenster politischer Interessen und Opfer ethnischer wie religiöser Spannungen wurden und wie es dabei auch schon vor dem Einmarsch der Deutschen zu einer solchen Vergiftung des sozialen Klimas kam, dass schließlich die nationalsozialistische Vernichtungspolitik leichtes Spiel hatte und dabei auch den einheimischen Judenhass für sich dienstbar machen konnte. So ist dieses Buch auch höchst lehrreich, wenn es um unsere eigenen Vorurteile und Aversionen geht. Was oft klein und unscheinbar beginnt, kann sich bei weltgeschichtlichen Verwerfungen ins Große aufschaukeln, bis es sich nicht mehr beherrschen lässt. - Sehr empfehlenswert.
Martin Niedermeier
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Anatomie eines Genozids
Omer Bartov ; aus dem amerikanischen Englisch von Anselm Bühling
Jüdischer Verlag (2021)
485 Seiten : Illustrationen
fest geb.