Unerhörte Nachrichten

Es ist nicht so leicht hineinzukommen in diesen Roman von Christian Lorenz Müller, aber das gehört zu seinem Programm, getreu dem Titel. "Unerhörte Nachrichten", das sind die Berichte über Flüchtlinge, die sich in einem westösterreichischen Grenzort anstauen. Deutschland hat seine Grenzen geschlossen, aus Ungarn und Südosteuropa drängen täglich Hunderte Menschen nach Österreich. In diesem fiktiv überzeichneten Szenario ist ein fester Standort mit Überblick nicht möglich. Man muss in Bewegung bleiben, um handlungsfähig zu bleiben. Das veranschaulicht auf grandiose Weise die erste Szene: Eine Ordnung in den zerschrammten Oberleitungen über der Kreuzung erkennt nur, wer die Stromabnehmer der zufahrenden Busse im Blick hat. Der Protagonist, der logischerweise ein Aktionist sein muss, ist ein Lokaljournalist. Er nutzt die Gunst der Stunde und schlägt aus seinen Berichten über die chaotische Flüchtlingslage mediales wie auch privates Kapital. Parallel dazu verlaufen eine alte Liebe zu einer Frau, die jetzt ebenfalls als Journalistin arbeitet, und seine Zuneigung zu einer gehörlosen Migrantin; außerdem gibt es noch eine Tochter. Müller erzählt realistisch von Flüchtlingen und Grenzzäunen, Kontrollen und Überfällen auf Hilfstransporte, vom Kampf um das beste Narrativ zwischen Politik und Medien; dazwischen gibt es Phantasie-Gespräche über Migration und Politik, Erinnerungen an eine Bosnienreise in den 1990er Jahren. Findet man sich einmal in diesem Szenario zurecht, liest sich der Roman gefällig. Doch etwas wirklich Neues kommt, vergleicht man ihn mit anderen Migrationsromanen von Ulrike Draesner ("Schwitters", Besprechung z. Zt. nur online), Jenny Erpenbeck (BP/mp 15/913), Reinhard Jirgl, Michael Köhlmeier, nicht heraus. Schade.