Giulia und der Wolf
Giulia wächst im Mailand der 1980er Jahre auf und ist als Jugendliche in der Gemeinde sehr aktiv. Der Pfarrer - von allen nur "Don" genannt - wird ihr geistlicher Begleiter und widmet ihrer spirituellen Suche viel Aufmerksamkeit. Doch mit der Zeit entwickelt er auch andere Interessen an ihr. Giulia ist verwirrt und wagt es nicht, sich seinen Annäherungsversuchen zu widersetzen. Der zwanzig Jahre ältere Mann holt die 15-Jährige immer wieder in sein Schlafzimmer und nötigt sie zu Zärtlichkeiten. Er zwingt sie zwar nie mit körperlicher Gewalt, doch die Abhängigkeit des Mädchens ist so groß, dass sie sich ihm nicht entziehen kann. Erst mit Beginn des Studiums kann sie sich von ihm trennen und erst viele Jahre später, als erwachsene Frau, über die Geschehnisse sprechen. Sie erkennt, dass sie zum Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden ist, der ihr ganzes Leben überschattet hat. - Der Erfahrungsbericht ist sehr authentisch, reflektiert und kompakt geschrieben, macht aber nur ca. die Hälfte des Buches aus. Die anderen Texte sind Dokumente des Papstes zum Thema bzw. Stellungnahmen von Personen, die sich in italienischen Kommissionen zum Opferschutz engagieren. In diesen Beiträgen wird auch das Thema Missbrauch von Ordensfrauen angesprochen, da Giulia in ihrem späteren Leben in einen Orden eintritt, was zwar für den eigentlichen Fall nicht relevant ist, aber die spirituellen Auswirkungen der Situation aufzeigt. Eine gute, sachliche Lektüre für eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Ursachen und Wirkungen von Missbrauch in der Kirche. In größeren Beständen.
Vanessa Görtz-Meiners
rezensiert für den Borromäusverein.
Giulia und der Wolf
Luisa Bove ; aus dem Italienischen übersetzt von Gabriele Stein
Tyrolia-Verlag (2020)
190 Seiten
kt.