Kaschmirgefühl
Gottlieb, ein einsamer Mann, den die jahrelange Arbeit in einem Hospiz ausgelaugt hat, ruft bei einer Sexhotline an, um mit jemandem reden zu können. Yvonne, die sich später als Marie vorstellt, ist zuerst skeptisch, dass er nur reden will und stellt ihn deshalb mehrmals auf die Probe. Er möchte ihr seinen Kummer darüber anvertrauen, dass er sich vor einiger Zeit verliebt hat, das Ganze aber kein gutes Ende fand. Im Laufe des Gesprächs kommen sich die beiden näher, doch als Leser*in muss man vorsichtig sein, was man für bare Münze nehmen darf und was nicht. Denn bald wird einem klar, dass sowohl Marie als auch Gottlieb nicht immer die Wahrheit sagen und der jeweils andere auch nicht an der Wahrheit interessiert ist, sondern es geht darum, sich durch die Lügen besser zu verstehen. - Aichners Roman spielt innerhalb einer Nacht, in der die beiden Protagonisten ein fortgesetztes Telefonat miteinander führen. Das Buch ist in seiner Sprache sehr klar und reduziert, da nur Fragen und Antworten abgedruckt sind. Am Ende des Romans bleibt man als Leser*in mit der Frage zurück, ob man überhaupt ein wahres Wort über Marie und Gottlieb erfahren hat.
Anna Heinzle
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Kaschmirgefühl
Bernhard Aichner
Haymon (2019)
188 S.
fest geb.