What light there is
Die Ars Moriendi, die Kunst des Sterbens, bereitet auf den letzten Augenblick vor und das, was danach kommt. Das ist seit dem Mittelalter eine Angelegenheit christlicher Erbauung. Davon aber weicht der schottische Schriftsteller John Burnside auffällig ab. Seine Aufmerksamkeit gilt der Schönheit des Augenblicks, auch und gerade des letzten. Nicht das Leben davor, nicht Versprechungen von Unsterblichkeit danach sind für ihn interessant. Es kommt darauf an, sich letzten Momenten zu stellen, sie auszuhalten. Das heißt erst einmal: Man muss die Vergänglichkeit wahrnehmen und erkennen. Das gelingt in Transiträumen wie an Flughäfen, in der Lektüre philosophischer Gedanken, bei der Erinnerung an Schlittschuhläufer auf flämischen Winterbildern, beim Betrachten von Arthouse-Filmen, bei der Reflexion über Scotts Antarktis-Tagebuch. Das Beschreiben vom Sterben des Polarforschers im ewigen Eis ist für Burnside kein Heldentum, sondern edle Angst. Sein Buch ist Memoir-Essay und Meditation über die Vergänglichkeit des Menschen, über seine Kraft, jeden Augenblick festzuhalten, als wäre es der letzte. Dafür braucht Burnside keinen Weihrauch und kein Spektakel. Es reicht der genaue, einfühlende Blick auf die pure Gegenwart, auf die Schlupflöcher im Leben zum Tode. John Burnside lehrt eine nachdenkliche, das Sterben nicht verleugnende, aber ebenso lebendige wie lichtvolle Sichtweise auf den Menschen. Und daran ist wiederum etwas Christliches. Sehr empfehlenswert.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
What light there is
John Burnside ; aus dem Englischen von Bernhard Robben
Haymonverlag (2020)
172 Seiten
fest geb.