Rot vor Augen
Während einer Party platzt bei der jungen Doktorandin Lina eine Ader im Auge und sie sieht nur noch rot. Die Angst vor dem vollständigen Erblinden lässt sie nicht mehr los, die Angst vor der Abhängigkeit von ihrem Freund Ignacio und ihren Eltern, die ihr unwillkommene Ratschläge geben, die Angst vor dem Verlust ihrer Autonomie und die Angst, dass sie ihren begonnenen Roman nicht mehr weiterschreiben kann. Sie fühlt, dass ihre "Augen sich allmählich von allem Geschehenen, allen Erinnerungen leeren", denn "der Glaube sei verbreitet, ... dass die Erinnerung in ihnen wohne, dass die Augen eine Verlängerung des Gehirns seien". Sie lehnt die Hilfe ihrer Mutter brüsk ab, um nicht allzu hilflos zu werden. - Die chilenische Autorin analysiert in ihrem autobiografisch inspirierten Roman die Gefühle der Ich-Erzählerin in einer intensiven und emotionalen Sprache. Die sehr kurzen Kapitel haben Überschriften wie: "Geplatzt. Dunkles Blut. Dieses Gesicht. Stolpernd". Zweifel, Unsicherheiten und quälende Selbstbefragungen, ob die Liebe halten wird, beschäftigen Lina. "Die romantische Liebe kann sowohl großzügig wie hingebungsvoll sein, zärtlich und leidenschaftlich - aber eben auch exzessiv, zwanghaft, egoistisch und manipulativ. Mein Roman lotet genau diese Extreme aus, die die romantische Liebe bereithält", so die Autorin. Ein faszinierender, sprachlich außergewöhnlicher Text über den eventuellen Verlust von Autonomie. Anspruchsvollen Lesern sehr empfohlen. (Übers.: Susanne Lange)
Ileana Beckmann
rezensiert für den Borromäusverein.
Rot vor Augen
Lina Meruane
Arche (2018)
200 S.
fest geb.