Die blüten der sonne
Rupi Kaur ist Star der Instapoesie-Szene. Da schreiben junge Autorinnen Verse und Geschichten auf sozialen Medien und haben Likes in sechs- bis siebenstelliger Höhe. Was also ist da los? Zunächst ist die Szene ein Phänomen der englischsprachigen Welt. Rupi Kaur wurde in einer indischen Einwandererfamilie in Kanada geboren. Ihre Gedichte sind leicht zugänglich, mainstreamig, übersimplifizierend und dabei immer wieder bildkräftig. Das geht nicht ohne Tradition. Den Honig hat ihr erster Lyrikband "Milk and Honey" (2014) aus dem Ursprung weiblichen Dichtens, von Sappho, geborgt, und er fließt auch im ersten Zyklus ihres neuen Bandes "die blüten der sonne" reichlich. Themen sind enttäuschte, verratene, verlorene, ersehnte und unerfüllte Liebe mit allen Begleiterscheinungen, aber ohne zu richten. Elegisch ist der Ton zuweilen, aber zupackend, etwa mit der Erklärung, dass es nach gekündigter Liebe keine Freundschaft geben kann, weil die vom Kuss auf den Mund der Blume träumende Honigbiene sich nicht mit deren Blättern begnügt. Es geht aber auch um Gespräche über Gott, Bodyshaming, Burnout, Immigranten und Integration, Familie und Vaterkomplexe. Eingängige und zugleich beständige Poesie, die ihr Medium, das Internet, nicht verleugnet, sondern nutzt. Sehr zu empfehlen. (Übers.: Anna Julia Strüh)
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Die blüten der sonne
rupi kaur
Fischer (2018)
248 S. : zahlr. Ill.
kt.