Dunkelnacht
Wozu ist ein ganz und gar durchschnittlicher Mensch fähig? In den letzten Tagen vor dem Kriegsende 1945 ereignen sich in der bayrischen Kleinstadt Penzberg schlimme Gräueltaten. In der Nacht vom 28. auf den 29. April werden acht Penzberger mitten in der Stadt gehenkt. Sieben weitere Menschen werden erschossen. Kein Stolperstein, keine Plakette erinnert an diese Nacht. Nur eine kleine Gedächtnisausstellung im Stadtmuseum, nach der man suchen muss. Inmitten dieses Geschehens spielt die fiktive Geschichte um Marie, Schorsch und Gustl. Drei Jugendliche, die diese dunkle Nacht ganz unterschiedlich durchleben. Marie ist die Tochter des Metzgermeisters Reithofer, Schorsch der Sohn des Polizeimeisters. Die Waise Gustl gehört der von Himmler ins Leben gerufenen Untergrundgruppe Kommando "Werwolf" an. Marie und Schorsch lernen sich in diesen Tagen kennen und sind zugleich vor die Entscheidung gestellt, auf welche Seite sie sich schlagen sollen. Gustl glaubt an den "Endsieg" und soll nun gegen die eigenen Nachbarn Tötungskommandos ausführen. Wie werden sie sich entscheiden? Kirsten Boie wagt sich mit ihrem Jugendroman an die Zeit der sogenannten "Endphasenverbrechen" im April 1945 heran. Hierbei orientiert sie sich an Archivmaterial und historischen Originalquellen. Die Namen der Opfer bleiben unverändert. Durch die Perspektive der drei Jugendlichen setzt sie der Geschichte die Fiktion eines moralischen Entscheidungsdilemmas auf. Somit zeigt sich deutlich: Schreckliche Verbrechen wurden durch die Atomisierung von Verantwortung legitimiert. Um so wichtiger ist das Handeln des Einzelnen. Der Autorin gelingt es, die Schrecken abzubilden ohne zu beschönigen und einen relevanten Beitrag zur Erinnerungskultur beizutragen. Besonders empfehlenswert.
Cornelia Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Dunkelnacht
Kirsten Boie
Verlag Friedrich Oetinger (2021)
127 Seiten
fest geb.