Anklage: Sterbehilfe

Martina Rosenberg (zul. "Mama, wann stirbst du endlich?", s. BP/mp 13/519) berichtet über Jan (26), der seine Mutter erstickte, die nach einem Unfall sieben Jahre im Wachkoma lag. Er wurde dafür zu drei Jahren wegen Totschlags verurteilt, was Rosenberg für ungerecht hält. Sie hält Jans Geschichte für ein Beispiel dafür, dass Deutschland noch weit von einer guten Sterbekultur entfernt ist. Gesetze und das Selbstverständnis von Ärzten, Pflegern und Heimbetreibern führen in ihren Augen dazu, dass Leben unnötig verlängert wird und Menschen nicht sterben dürfen. Ihre sehr emotionale, romanhafte Schilderung des Falls beruht auf Gesprächen, die sie mit Jan und einigen Angehörigen geführt hat. Sie holt weit aus, erzählt von Kindheit und schwieriger Jugend, davon, dass Jan mit der Situation seiner Mutter im Wachkoma völlig überfordert war. Jan ist überzeugt, im Sinne seiner Mutter gehandelt und sie "erlöst" zu haben. Rosenbergs mangelnde Distanz und ihre suggestive, Jans Unschuld betonende Schilderung des Falls machen die Lektüre des Buches anstrengend, weil man sich wieder und wieder genötigt sieht, Distanz zu Rosenbergs Darstellung aufzubauen, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können. Ihrer Darstellung hätte auch die ein oder andere Rückfrage bei Rechts- und Medizinexperten gut getan. Andererseits zeigt Rosenberg, wie schwer sich unsere Gesellschaft mit dem Sterben tut. Es gibt keinen selbstverständlichen Umgang mit Menschen und deren Angehörigen, die sich - teilweise jahrelang - zwischen Leben und Tod befinden. Dazu gehört auch die Frage, wann lebenserhaltende Maßnahmen in Maßnahmen umschlagen, die das Sterben verhindern. Wie kann das entschieden werden und wer kann und darf das? Dazu gehört aber auch ein Thema, das Frau Rosenberg nicht anspricht: Wie gehen Menschen mit den Gefühlen um, die die Situation ihrer langsam dahinsiechenden Angehörigen in ihnen auslösen? Als Diskussionsbeitrag zum Thema Sterbekultur ab mittleren Beständen einsetzbar.