Sprechende Hände
Wie bringt man einem taub-blinden Kind bei, dass die Dinge Namen haben, dass es Mitmenschen gibt, mit denen man kommunizieren kann? Der jungen Erzieherin von Helen Keller, Annie Sullivan, ist dies gelungen: mit viel Geduld brachte sie der ihr anvertrauten
Helen das Fingeralphabet bei, mit dessen Hilfe das Mädchen sich verständlich machen konnte. Während Helen Keller später berühmt wurde, stand Sullivan etwas in ihrem Schatten. In dieser Graphic Novel nun erfährt man viel aus den Biografien beider Frauen, auch von ihren wesentlichen Gemeinsamkeiten: dem Gefühl der Isoliertheit, den Selbstzweifeln und ihrer Hartnäckigkeit. Doch wird nicht nur die Lebensgeschichte zweier benachteiligter und dagegen ankämpfender junger Frauen erzählt - es ist das Medium der Zeichnung, das hier sein großes Potential ausschöpft. Denn in den Bildern wird die Welt-Erfahrung der Taub-Blinden wiedergegeben, der dunkle, stille Raum, in dem sie lebt, der sich aber langsam durch die Sinneseindrücke, denen Helen Wörter zuordnet, belebt. Wie dem Betrachter diese langsame Welt-Aneignung nahe gebracht wird, ist exzellent; fast spürt man beim Betrachten körperlich, welch existentielle Erfahrung Helen durch ihr Lernen und den Beistand ihrer Lehrerin macht. In dieser Intensität leistet diese Graphic Novel viel - mehr, als man mit einmaligem Lesen erfassen kann. Sehr zu empfehlen!
Dominique Moldehn
rezensiert für den Borromäusverein.

Sprechende Hände
Joseph Lambert
Egmont (2015)
Graphic Novel
93 S. : überw. Ill. (farb.)
fest geb.