Das Buch, das niemand las
Wie alle Bücher sehnt sich auch Morry danach, von möglichst vielen Menschen gelesen zu werden. Seit fünf Jahren steht das Buch nun schon in einem Regal, ohne je Beachtung zu finden. Und während seine Nachbarn froh darüber sind, keine umgeknickten Seiten oder Risse im Papier erleben zu müssen, langweilt sich Morry und wünscht sich zum Entsetzen aller, so oft gelesen zu werden, bis seine Seiten auseinanderfallen. Morry ruckelt so lange auf dem Regal hin und her, bis er schließlich nach einem letzten Stupser hinunterfällt und nach einigen Aufregungen in den ein wenig klebrigen Händen eines neugierigen Kindes landet. Das Abenteuer des Lesens kann endlich beginnen. - Mit der ihr eigenen übersprudelnden Fantasie erzählt Cornelia Funke aus der ungewöhnlichen Perspektive eines Buchs von der Magie des Lesens. Die bekannte Autorin, die ihre Karriere als Illustratorin begann, findet für ihre Geschichte höchst ausdrucksstarke Bilder, die wegen ihrer oft sehr dramatischen und plakativen Darstellungsweise wohl nicht jedem gefallen werden. Erwachsene Bücherfreunde werden beim Vorlesen der spannenden Geschichte in den Karikaturen ähnelnden Gesichtern der Bücher bekannte Autoren wie Victor Hugo, Jane Austen oder Alexandre Dumas erkennen und Funkes Ideenreichtum zu schätzen wissen. Und dass das lesende Kind am Schluss an den kleinen Max aus Maurice Sendaks Bilderbuchklassiker von den wilden Kerlen erinnert, ist natürlich auch kein Zufall. Büchereien sollten diesem höchst ungewöhnlichen Bilderbuchexperiment schon wegen seiner fantasievoll umgesetzten Hommage an das Lesen eine Chance geben.
Angelika Rockenbach
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Das Buch, das niemand las
Cornelia Funke
Dressler (2018)
[20] Bl. : überw. Ill. (farb.)
fest geb.
Borromäus-Altersempfehlung: ab 4