Kurze Lebensläufe der Idioten
Besonders höflich ist es nicht, wenn man jemanden als einen "Idioten" bezeichnet. Ermanno Cavazzoni jedoch schafft es mit seinen Geschichten über Idioten, genau diese Herabwürdigung anderer Menschen zu umgehen. Seine "Idioten"
besitzen im Gegenteil alle eine große Humanität oder kämpfen verzweifelt darum, ihr individuelles Menschsein gegen die grassierende und immer stärker werdende Gleichgültigkeit und Gleichmacherei zu behaupten. Da ist zum Beispiel einer, der die Geschwindigkeit hasst. Oder es wird ein alter Mann vorgestellt, der angeblich gar nicht gemerkt hat, dass er zwei Jahre lang in einem Konzentrationslager gelebt hat. Oder es werden in Form kurzer Zeitungsmeldungen die merkwürdigsten "Selbstmorde von Berufs wegen" präsentiert. Cavazzoni ist ein von Phantasie und Ironie überbordender Schriftsteller, dem aber Sarkasmus oder Schadenfreude vollkommen fremd sind. Am Ende der Lektüre empfindet man die Bezeichnung "Idiot" vielleicht sogar als eine ehrenvolle Anerkennung für Menschen, die sich ihre Würde noch nicht haben rauben lassen. Sehr zu empfehlen! (Übers.: Marianne Schneider)

Carl Wilhelm Macke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Kurze Lebensläufe der Idioten
Ermanno Cavazzoni
Wagenbach (2006)
WAT ; 527
140 S. : Ill.
kt.
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