Mr T., der Spatz und die Sorgen der Welt

Kurz nach seiner Pensionierung nahm sich Miriam Toews Vater Melvin das Leben. Weil die kanadische Schriftstellerin verstehen wollte, was in ihrem Vater in den letzten Tagen vor seinem Selbstmord vorging, lässt sie ihn aus seinem Leben erzählen. Melvin Toews war manisch depressiv, weshalb sein Arzt ihm davon abriet, Lehrer zu werden und eine Familie zu gründen. Das hielt Toews jedoch nicht davon ab, beides zu tun. Er war mit Leib und Seele Lehrer, einfallsreich, engagiert, immer auf der Suche nach Ideen, den Unterricht und das Schulleben phantasievoll zu gestalten; geschätzt, ja sogar geliebt von Kollegen und Schülern. Trotzdem hatte er nach seiner Pensionierung das Gefühl, "nichts auf die Beine gestellt" zu haben. Während der Vater von zwei Töchtern in der Schule fröhlich, kommunikativ und voller Energie war, zog er sich zu Hause oft zurück und schwieg. Toews zeigt ihn dennoch als liebevollen Ehemann und Vater, der sehr darunter litt, seine Zuneigung nicht ausdrücken zu können. Er war tief geprägt von der Religiosität der Mennoniten, doch konnte sein Glaube ihn nicht von der Dunkelheit in seiner Seele heilen. Zeitlebens vertraute er sich niemandem an, weder seiner Frau noch seinem Psychiater erzählte er von seinen inneren Kämpfen. Ein Satz fasst seine tiefe Verzweiflung in Worte: "Mit meinen zweiundsechzig will ich immer noch, dass mich meine Mutter ein einziges Mal in den Arm nimmt und mir sagt, dass sie mich liebt." - So depressiv und verzweifelt ihr Vater in seinem Leben immer wieder gewesen sein mag, Miriam Toews gelingt das Kunststück, seine Geschichte als ein Loblied auf das Leben zu erzählen. Ihr Vater hat seiner Krankheit eine Menge gute Jahre, Licht und Leben abgetrotzt. Das Buch zu lesen, ist wie ein Strandspaziergang im Spätsommer. Die Füße spüren den warmen Sand, doch immer wieder werden sie von eiskaltem Wasser überspült. Sehr lesenswert!