Dankbarkeiten

Als Michka Seld, "eine alte Dame mit dem Habitus eines jungen Mädchens", zunehmend erschöpft ist von dem beginnenden Verlust ihres Sprachvermögens, siedelt sie mit Unterstützung der jungen Marie, einer Art Ziehenkelin, in ein Heim über. Dort hilft Dankbarkeiten ihr der Logopäde Jérôme mit Übungen, die Aphasie zu verlangsamen; Marie besucht sie regelmäßig. Das Gefühl von umfassendem Verlust wird jedoch immer größer und belastender für Michka und sie leidet an Albträumen. Als zusätzliche Bürde trägt sie eine offene Schuld mit sich herum. Als kleines Kind wurde sie auf der Flucht vor den Nazis bei einem Ehepaar auf dem Land in Obhut gegeben. Ihre Mutter hatte keine Gelegenheit mehr, sie abzuholen, sodass die jüdische Michka ein paar Jahre dort versteckt lebte, bis sie von einer Verwandten gefunden und zu sich genommen wurde. Es lastet schwer auf ihr, dass sie sich nie bedanken konnte bei dem Paar, dem sie ihr Leben verdankt und von dem sie nur die Vornamen kennt. Ihre Suchanzeigen blieben bisher ohne Erfolg. - Delphine de Vigan erzählt diese feine, warmherzige Geschichte (nach "Loyalitäten" , BP/mp 19/172, der zweite Teil einer Trilogie über komplexe Empfindungen) abwechselnd aus der Sicht von Marie und Jérôme - unterbrochen von Michkas Albträumen - und zeigt, wie wichtig wahrhaftige Beziehungen für die Menschen sind. Michkas Wortfindungsstörungen, von Doris Heinemann kreativ-plausibel ins Deutsche übertragen, lassen die Leserin trotz aller Tragik immer wieder schmunzeln. Sehr lesenswert.

Barbara Sckell

Barbara Sckell

rezensiert für den Borromäusverein.

Dankbarkeiten

Dankbarkeiten

Delphine de Vigan ; aus dem Französischen von Doris Heinemann
DuMont (2020)

165 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 600854
ISBN 978-3-8321-8112-3
9783832181123
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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