Ein Mädchen aus Papier

Michael Ende ist ein moderner Romantiker, der (nach der schönen Stelle bei Novalis) dem "Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein" verleiht. Dieses Rezept geht in den Ein Mädchen aus Papier Romanen und Kurzgeschichten voll auf. In den Gedichten aber nur bedingt. Sie sind jetzt in dem Band "Ein Mädchen aus Papier" versammelt. Formal zieht sich Endes Lyrik auf Reim und unregelmäßigen Rhythmus zurück, die Sprache ist schlicht, die Bilder stammen aus Traum- und Wunderwelten mit losen Bezügen zur Realität. Die Botschaften sind meist sehr einfach im Stil der Neusachlichkeit eines Erich Kästner und biblisch inspiriert: die Heimat des Sprechers ist seine Phantasie, Liebe macht sichtbar und hilft gegen neue Eiszeiten, der Mensch ist ein Blatt im Wind. Lesenswert vor allem sind die Moritaten und Balladen. "Eine unmoralische Moritat" erzählt von einer Diebin und einem Panzerknacker, die sich Bonnie&Clyde-haft ineinander verlieben und unter Vorspiegelung falscher, nämlich ehrenhafter Tatsachen ein bürgerliches Leben vollbringen, ohne je von der schlimmen Vergangenheit des anderen zu erfahren. In diesem Gedicht reimt sich "Mercedes-Benz" auf "Juris-Prudenz": das hat was, und unterstreicht die unmoralische Moral, dass Lügen, auch wenn sie kurze Beine haben, weit laufen können. Empfehlenswert für größere Bestände.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Ein Mädchen aus Papier

Ein Mädchen aus Papier

Michael Ende
Thiele Verlag (2019)

125 Seiten : Illustrationen
fest geb.

MedienNr.: 599731
ISBN 978-3-85179-443-4
9783851794434
ca. 12,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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