Das Polykrates-Syndrom
"Schönes Hemd." Mit dieser vielleicht etwas ungewöhnlichen Form der Anmache beginnt eine Kette von Ereignissen, die sich für Antonio Fians Protagonisten Artur zu einem Horrortrip auswachsen. Artur arbeitet trotz Hochschulabschluss halbtags in einem Copyshop und schreibt mittelmäßige bis schlechte Sketche fürs Fernsehen, die jedoch bisher niemand zeigen will. Seine Frau Rita dagegen ist stellvertretende Schulleiterin und arbeitet zielstrebig auf einen Direktorenposten hin. Als er zum Feierabend unter dem Deckel eines Kopierers die Botschaft "Schönes Hemd" findet, weiß er sofort, von welcher Kundin sie stammt und macht sich kurzentschlossen auf, sie zu suchen. Und tatsächlich, er findet sie, Alice, wird von ihrem Ex verprügelt, muss ihr kurze Zeit später helfen, seine Leiche zu beseitigen und beginnt ein Verhältnis mit ihr. Seit sie weiß, wo er wohnt, kreuzt sie bei ihm auf, erschreckt einen seiner Nachhilfeschüler, indem sie splitterfasernackt durch die Wohnung geistert, und legt sich mit Rita an. Das überlebt Alice nicht und Fians ohnehin schon durchgeknallter Roman kommt zu seinem Höhepunkt: Über fast 20 Seiten wird beschrieben, wie Rita Artur zwingt, Alice's Leiche in der Badewanne zu zerlegen. Doch wer sich gezwungen sah, die Leiche seiner Geliebten zu zerlegen, ist auch zu anderem fähig ... - Splatter-Roman? Splatter-Roman-Satire? Fians Buch ist für jede Schublade zu sperrig, abgründig, absurd, voll schwarzem Humor, und gut erzählt ist es auf jeden Fall. Artur macht sich schließlich daran, alles aufzuschreiben, vielleicht, hofft er, wird er auf diese Weise verstehen, was passiert ist. "Niemand wird das je lesen", meint Rita. So schlimm wird es nicht kommen, aber der Roman ist schon sehr speziell.
Christoph Holzapfel
rezensiert für den Borromäusverein.
Das Polykrates-Syndrom
Antonio Fian
Literaturverl. Droschl (2014)
238 S.
fest geb.