Ein Frühling in Tschernobil
Der französische Comic-Illustrator Emmanuel Lepage (u.a. Oh diese Mädchen - BP/mp 11/763) gehört zu einer Gruppe französischer Künstler, die rund 20 Jahre nach der Reaktorkatastrophe Eindrücke in der verstrahlten Umgebung von Tschernobyl sammeln
wollen, um die eigene Bevölkerung für die Gefahren der Kernkraft zu sensibilisieren. So reist er, nach einer Phase der Selbstzweifel, mit Freunden in die Ukraine, um seine Wahrnehmung rund um die Todeszone in Bildern festzuhalten. Anfangs entstehen dabei zahlreiche düster-bedrückende Zeichnungen der entvölkerten Landschaften rund um den Ort der Katastrophe. Die Begegnung mit Menschen, die trotz der Verstrahlung im Angesicht des Todes ihr Leben leben und die im Frühling aufbrechende Natur, die er als strahlende Schönheit erfährt, verwirren jedoch diese zunächst eindeutigen Erfahrungen. Zeichnerisch setzt Lepage diesen inneren Zwiespalt durch die Verwendung von Farben und andere Maltechniken um. So gerät der ursprüngliche Auftrag zeitweilig aus dem Blick und die Reise wird auch zu einem Akt der Selbsterfahrung. Eine gerade wegen der Wucht der Bilder emotional berührende Graphic Novel zu einem harten und vielfach bereits wieder verdrängten Thema. Für große Bestände.
Siegfried Schmidt
rezensiert für den Borromäusverein.

Ein Frühling in Tschernobil
Emmanuel Lepage
Splitter (2013)
163 S. : überw. Ill. (z. T. farb.)
fest geb.