Schönheit und Schrecken

Vor fast 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg. Seither wurde intensiv über seine Ursachen und Folgen geforscht, da sollte man doch meinen, es sei alles gesagt. Ein Irrtum, wie Peter Englund zeigt. Er lässt 19 Weltkriegsteilnehmer/innen zu Wort kommen, die als Sanitäter, Soldaten und Zivilisten auf verschiedenen Seiten an diesem Krieg teilgenommen und ihre Erlebnisse in Briefen und Tagebüchern festgehalten haben. Sie geben Auskunft über die Ängste und Hoffnungen dieser Menschen, darüber, was sie vom Krieg erwarteten und wie sie ihn erlebten und erlitten. Unter ihnen sind u.a. Herbert Sulzbach, deutscher Artillerist, bei Kriegsbeginn 20 Jahre alt, Florence Farmborough (27), Engländerin, als Sanitäterin bei der russischen Armee, und Vincenzo D'Aquila (21), Italo-Amerikaner, Infanterist der italienischen Armee. - Die Perspektive der einfachen Kriegsteilnehmer ist so neu nicht, die historische Forschung hat sie in den neunziger Jahren entdeckt. Neu ist dagegen, was Englund daraus macht. In chronologischer Folge setzt er die Aufzeichnungen der 19 Kriegsteilnehmer zu einer großen Erzählung in der Tradition der anglo-amerikanischen Geschichtsschreibung zusammen und schafft dadurch ein Panorama des Kriegsalltags, das es so bisher noch nicht gegeben hat. Natürlich ist es nicht vollständig, wie sollte es das auch, bei Millionen Kriegsteilnehmern, Soldaten und Zivilisten? Das Hauptproblem aber beschreibt Herbert Sulzbach: Man könne den zuhause Gebliebenen "doch niemals eine wirkliche Vorstellung von dem machen, was wir erleben und aushalten" (109). Englund kommt dieser Vorstellung jedoch ziemlich nahe. Peter Englund lehrt Geschichte in Uppsala und ist seit 2009 Vorsitzender des Literaturnobelpreis-Komitees. Wer glaubt, Geschichte sei eine trockene und langweilige Angelegenheit, wird von Englund eines Besseren belehrt: Geschichtsschreibung kann große Literatur sein. Unbedingt lesenswert!