Wie ein Schatten sind unsere Tage
Aus einem Bündel vergilbter, beschädigter Papiere - von der Autorin hinter der Wandverkleidung ihres Wohnzimmers in Frankfurt am Main entdeckt - entsteht ein bewegendes Dokument des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh. Anhand von Briefen, Karten und Fotos, gerichtet an das Ehepaar Grünbaum (deportiert und verstorben in Theresienstadt), aber auch aus amtlichen Schreiben rekonstruiert die Verfasserin das Schicksal dieser weitverzweigten jüdischen Familie, die trotz räumlicher Entfernung - einige emigrierten in die USA, wo sie heute noch leben - regen Kontakt untereinander pflegte. In den persönlichen Zeugnissen, die Erfolg, Glück, Leid, Trauer und Verzweiflung widerspiegeln, zeigt sich dem Leser das Bild einer völlig integrierten, angesehenen, strebsamen und wohlhabenden Familie, die aktiv alle historischen Ereignisse mitgestaltete, aber auch erlitt (z.B. Gründerjahre und Erster Weltkrieg) und dem aufkommenden Nationalsozialismus und schließlich der NS-Vernichtungspolitik hilflos ausgeliefert war. Gerade auch in den klug eingebetteten amtlichen Dokumenten wird die Brutalität und Menschenverachtung des Regimes deutlich. Die Tatsache, dass hier authentische Zeugnisse durch ihre Natürlichkeit, Ehrlichkeit und Emotionalität das erschütternde Schicksal einer jüdischen Familie beschreiben, macht das Buch zu einem beeindruckenden Erinnerungsdokument. - Für alle Bestände!
Inge Hagen
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Wie ein Schatten sind unsere Tage
Inge Geiler
Schöffling (2012)
487, [32] S. : zahlr. Ill. (z.T. farb.)
fest geb.