Der Fuchs und Dr. Shimamura
Was für ein wahrhaft-verrücktes Buch! Dr. Shimamura, ein japanischer Nervenarzt, reist Ende des 19. Jahrhunderts durch die Provinz, um ein bizarres Krankheitsbild zu erforschen, die sogenannte Fuchsbesessenheit, die bei Frauen zu Unbeherrschtheit,
zu Raserei und Epilepsie führt. Er reist nach Europa und importiert die physiologische Psychologie nach Paris, Wien und Berlin. Erschöpft kehrt er 1894 zurück nach Tokio, um einen Verein für Mythenforschung zu gründen, der volkstümliche Fuchsmärchen sammelt. Seine Mutter schreibt Shimamuras Biographie. Christine Wunnicke nimmt den historischen Arzt (den es ebenso wirklich gab wie die - inzwischen korrigierte - psychotherapeutische Diagnose der Hysterie) als Sprungbrett für eine epische Groteske vom Feinsten. Mit indirekter Rede, lakonischen Sätzen und skurrilen Einfällen bringt sie den Leser in eine anregende Distanz zum Stoff. Die Fernostmystik bringt die Psychoanalyse gehörig ins Wanken. Das analytische Gespräch sei, lässt Wunnicke ihren Helden sagen, als "Heilmethode für die traumatische Hysterie unbrauchbar", da es dem japanischen Sinn für Höflichkeit widerspreche. Ein köstlicher, fabulierfreudiger Schelmenroman, sehr lesenswert, nominiert für den Deutschen Buchpreis 2015.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.

Der Fuchs und Dr. Shimamura
Christine Wunnicke
Berenberg (2015)
142 S.
fest geb.