Das fünfte Evangelium
Als gläubiger Mensch muss man einige Klimmzüge machen, um in der Ironie dieses Buches die ernsthafte Exegese des Autors zu erkennen und für uns zu deuten. Fingiert wird der Fund von Fragmenten eines "fünften Evangeliums" aus dem 1. oder 2. Jahrhundert n.Chr. Diese Texte widersprechen einigen "schwierigen Stellen der vier Evangelien". Mit einigen dieser (konstruierten) Abweichungen vom kanonischen Text der Evangelien setzt sich Biffi auseinander. Zum Beispiel wird aus dem "Kehrt um - tut Buße" des Evangeliums im "fünften Evangelium": "Sorgt dafür, dass Buße getan wird". Und ein diesbezüglicher Kommentar stellt Jesu direkten Ruf in die Nachfolge glatt auf den Kopf. - Giacomo Biffi, geb. 1928, war 1985 zum Kardinal erhoben worden und hat zahlreiche (ernsthafte) theologische Publikationen veröffentlicht. 2015 starb er in Bologna. Sein "fünftes Evangelium" ist natürlich kein ketzerisches Buch, wenn der Autor auch Ketzermethoden anwendet, um den Glauben des Lesers zu hinterfragen. Kardinal Biffi karikiert vielmehr in ironischer Übertreibung das Bemühen mancher Gegenwartstheologen, die vier Evangelien so zu "entschärfen", dass sie den Forderungen des Zeitgeists entsprechen - um auf dieser Negativfolie den wahren Anspruch der Bibel sichtbar werden zu lassen. Es ist ein höchst geistreiches Buch, aber man muss den kontrastiven Denk- und Schreibstil mögen und verstehen.
Armin Jetter
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Das fünfte Evangelium
Giacomo Biffi
Media Maria (2016)
127 S.
fest geb.