Nacht der Wahrheit
Enzo lebt mit seiner Mutter Liouba in einer herrschaftlichen Wohnung in Paris und besucht ein renommiertes Gymnasium. Seine Mutter ist ein Dienstmädchen russischer Abstammung und sorgt dafür, dass die Wohnung immer sauber und bereit ist für die wenigen Tage im Jahr, an denen die Besitzer anwesend sind. Enzo und seine Mutter haben ein enges Verhältnis, denn sie haben ja nur sich. Einen Vater gibt es nicht. Sie teilen sich ein kleines Zimmer und wenn Liouba Besuch von ihren Freundinnen bekommt, stellt sie stolz ihren Sohn vor. Enzo müsste also eigentlich glücklich sein. Aber der Schein trügt. Enzo ist ein Außenseiter an seiner Schule, nicht nur durch seine Abstammung, auch durch seine äußere Erscheinung. Er ist dick und unbeholfen, kaschiert seine Fülle und Unsicherheit unter einem schwarzen Trainingsanzug. Er ist das perfekte Opfer für alle möglichen brutalen Schikanen der Lehrer und Mitschüler. Am liebsten wäre er unsichtbar und würde sich mit Nutellabroten und Büchern in seinem Zimmer verkriechen. Als er von den Mitschülern brutal zusammengeschlagen wird, zeichnet sich in seinem Leben eine Wende ab. - Ein wunderbar geschriebener Roman in kurzen aussagekräftigen Sätzen, einfühlsam die innere Zerrissenheit der Hauptpersonen beschreibend, die Qual des jungen Außenseiters in der schwierigen Phase des Heranwachsens und Selbstfindens. Ein ganz besonderes Buch, poetisch, berührend und erschreckend zugleich. (Übers.: Alexandra Baisch u. Claudia Steinitz)
Christiane Kühr
rezensiert für den Borromäusverein.
Nacht der Wahrheit
Véronique Olmi
Kunstmann (2015)
268 S.
fest geb.