Lichtung
Der schmerzliche Verlust der Mutter hat für Pauls Familie gravierende Folgen. Der Vater, ein Schichtarbeiter, bemüht sich, die kleine Familie zusammen zu halten. Pauls ältere Schwester Laura jedoch schließt sich einer Straßenbande an, die sich die Zeit mit Drogen und Kleinkriminalität vertreibt. Pauls Trauer wird durch die Sorge um Laura noch verstärkt. In seiner Einsamkeit versucht er, die Erinnerung an die Zeit mit der Mutter zu beleben. Diese Graphic Novel ist als großer Familienroman zu lesen, eine Coming-of-Age-Geschichte, deren Zentrum der alles bestimmende Verlust der Mutter ist. Die Versuche, dem Sog der Trauer zu entfliehen, haben verschiedene Auswirkungen: die Fürsorge des hart arbeitenden Vaters, Lauras Haltlosigkeit und Pauls Beschwörung der Vergangenheit. Diese fragilen Konstellationen und Lebensentwürfe werden in grau schattierten Bildern aufgefächert. Die harte und kalte Realität des Alltags wird immer wieder durchbrochen von den Bildern von Pauls Innenleben, in dem er sich eine Harmonie erträumt. Wie Verlust und Erinnerung in den Bildern mal zart und mal konfrontativ eingefangen werden, ist meisterhaft gelöst. Überzeugend sind vor allem die Darstellung der zersplitterten Wahrnehmung und die Nutzung starker Symbole wie etwa dem "Totentanz". Das Thema des familiären Traumas findet hier eine äußerst sensible und sehr lesenswerte Behandlung.
Dominique Moldehn
rezensiert für den Borromäusverein.
Lichtung
Antonia Kühn
Reprodukt (2018)
245 S. : überw. Ill.
kt.