Eine alte Geschichte
Alles, was vielleicht in den Tiefen des "Es" schlummert, alle perversen Lüste, Sehnsüchte und Ängste, verborgen vor dem eigenen Über-Ich, drängt sich hier in phantastischen Szenarien ungefiltert, schamlos, unzensiert an die Oberfläche. Von Raum zu Raum schreitet das Ich in alptraumartigen Sequenzen voran, erlebte immer wieder - beinahe wie im Märchen - ähnliche Situationen und Konstellationen sexueller Lust und Ausschweifung in ungeschminkter Drastik. In kafkaesker Verfremdung tauchen immer wieder bestimmte Versatzstücke auf: z. B. die Tür, durch die das Ich hindurchgeht, um zu einer neuen Episode zu gelangen, das Wasser, in dem es sich erfrischt und reinigt, der Spiegel, in dem es sich und das jeweilige Gegenüber während des Sexualaktes beobachtet: "So konnte ich Teile unserer Körper im Spiegel sehen, meinen Arsch, der (...) eine perlgraue Kurve beschrieb, und darunter, fast leuchtend rot, nackt (...) Schenkel und Arsch des blonden Mädchens." (S. 48) Es ist ein kalter mechanischer Vollzug der hypertrophen Sexualorgane, der hier wohl hundertfach ohne jegliche Anteilnahme, ohne Verankerung in einem identifizierbaren Gegenüber stattfindet. Dabei steigert sich das Geschehen von Raum zu Raum und verquickt sich zunehmend mit erst subtilen, dann immer krasseren Gewaltexzessen, die unverkennbar an die schrecklichen Naziterror-Szenen in dem bekanntesten Roman Littells erinnern (Die Wohlgesinnten). Beide spiegelbildlich angeordneten Teile des Romans münden in einer schwer erträglichen Orgie der sexualisierter Grausamkeit. Wer mag das lesen und wozu? Langweilig wird's obendrein. (Übers.: Hainer Kober)
Eine alte Geschichte
Johathan Littell
Matthes & Seitz (2016)
127 S.
fest geb.