Ein ungewöhnlicher Roman über einen gewöhnlichen Mann
Eigentlich ist der Ire Marcus Conway ein völlig durchschnittlicher Mensch, was seinen Lebensweg anbetrifft. Und der zieht an einem verregneten Tag im November vor seinem geistigen Auge vorüber, während er allein in seiner Küche sitzt. Er erinnert sich an seinen beruflichen Werdegang, der ihn statt zum Geistlichen zum Ingenieur werden ließ. Er reflektiert über das Auf und ab seiner Ehe, die er vor der Katastrophe bewahren konnte. Er denkt an seine Kinder, die er liebt, die ihm aber irgendwie entglitten sind. Er fühlt nach, was er im Leben erreicht, aber auch, was er alles verpasst hat, welche Träume unerfüllt geblieben sind, welche Enttäuschungen er erlebte. Und es dämmert ihm, dass in einer Welt, die stärker im Wandel ist als je zuvor, nichts mehr als sicher und normal gelten kann. - McCormack gehört zur ersten Garde der zeitgenössischen irischen Schriftsteller. Wie seine anderen Bücher wurde auch dieser (sein fünfter) Roman von der Fachwelt wie den Lesern begeistert aufgenommen und mit Literaturpreisen bedacht. Wie er es schafft, aus einem eher unspektakulären Sujet einen Roman zu machen, in dem jede Zeile eine literarische Meisterleistung ist, voller Poesie, aber auch stilistisch perfekt, nah am Leben und dennoch überaus philosophisch, das ist schon außergewöhnlich (und hier ist auch ausdrücklich der Übersetzer, Bernhard Robben, zu loben, der dieses Werk kongenial ins Deutsche übertragen hat). Einmal mit der Lektüre des Romans beginnend verfällt der Leser sofort dem Bann von McCormacks Erzählstil und wird das Buch am Ende aus den Händen legen mit dem Gefühl, dass auch das ganz Alltägliche des Lebens ein Staunen wert ist. - Ein wirklich hervorragendes Buch, aufgrund des Stils (so besteht z.B. der über 260 Seiten lange Text aus einem einzigen Satz) allerdings vor allem Lesern zu empfehlen, die schon etwas literarische Erfahrungen haben.
Günter Bielemeier
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Ein ungewöhnlicher Roman über einen gewöhnlichen Mann
Mike McCormack
Steidl (2019)
266 S.
fest geb.